Magie ohne Kampf, Mythen ohne Kitsch, Natur ohne Romantisierung - Island of Winds ist kein gewöhnliches Abenteuer. Das Spiel entführt uns in eine Welt inspiriert von Island des 17. Jahrhunderts, die ebenso rau wie geheimnisvoll ist. In der Rolle der jungen Brynhildur, einer sogenannten Balance Keeper, beginnt eine Reise, die nicht von Heldentaten, sondern von Empathie, Zweifeln und dem Versuch geprägt ist, in einer aus dem Gleichgewicht geratenen Welt wieder Ordnung zu finden. Statt Kämpfe zu gewinnen, geht es darum, Konflikte zu verstehen und Wesen, die zwischen Wut und Schmerz gefangen sind, Frieden zu bringen.
Die isländischen Entwickler von Parity Games greifen tief in die Schatzkiste ihrer eigenen Kultur und erschaffen eine Spielwelt, die sich vom ersten Moment an einzigartig anfühlt. Kein generisches Fantasy-Setting, keine austauschbare Magie, sondern moosbewachsene Felsen, raue Meereswinde, wandernde Nebelbänke und Wesen aus Sagen, die kaum jemand außerhalb Islands kennt. Die Insel ist kein Ort, den man erobert, sondern einer, den man begreifen muss und der sich in seiner kargen Schönheit nur jenen öffnet, die mit Respekt und Gefühl an ihn herantreten.
Gameplay-technisch erwartet uns ein ruhiges, puzzleorientiertes Adventure mit semi-offener Struktur. Statt freier Welt setzt Island of Winds auf klar voneinander getrennte Abschnitte: Küstenpfade, gefrorene Höhlen, Lagunen und karge Hochlandebenen entfalten dabei jeweils ihre eigene Stimmung. Gekämpft wird nicht. Brynhildur nutzt ihren Stab, um Magie zu wirken, Blockaden zu beseitigen oder ruhelose Kreaturen zu besänftigen. Besonders im Zusammenspiel mit der Musik entfaltet das Spiel eine dichte Atmosphäre, die mehr an alte Märchen oder Naturdokumentationen erinnert als an klassische RPGs. Es geht um Zuhören, um Beobachtung, um die Suche nach Balance, nicht um Sieg.
Die Entwickler betonen, dass Empathie nicht nur ein erzählerisches Thema ist, sondern im Zentrum der Interaktionen steht. Die Begegnungen mit Geistern, Fabelwesen oder Dorfbewohnern gleichen kleinen sozialen Rätseln: Wer die richtigen Fragen stellt, wer bereit ist, zuzuhören, der kommt weiter. Wer urteilt oder Gewalt sucht, bleibt außen vor. Island of Winds spielt mit dem, was Videospiele selten versuchen: Es lädt nicht zum Eskapismus ein, sondern fordert ein Mitfühlen, ein Ernstnehmen von Verlust, Zweifel und Verantwortung.
Fazit
Natürlich bleibt offen, ob das entschleunigte Konzept auch über mehrere Spielstunden hinweg trägt. Doch schon jetzt lässt sich sagen: Dieses Spiel hat Charakter und den Mut, Dinge anders zu machen. Wer Fantasy liebt, aber genug hat von Kämpfen und Klischees, sollte Island of Winds im Blick behalten. Es ist eines der eigenwilligsten Indie-Projekte des Jahres und vielleicht eines der notwendigsten.





