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Buch-Rezension: Katabasis – R.F. Kuang

· ca. 3 Min. Lesezeit Andreas Zommer
Buch-Bild: Katabasis

Nach Babel und Yellowface wendet sich Rebecca F. Kuang in Katabasis erneut den intellektuellen Schattenseiten von Wissen, Macht und Selbstzerstörung zu. Diesmal führt sie ihre Figuren buchstäblich in die Hölle und macht daraus ein Lehrstück über akademischen Wahn, Ambition und moralische Blindheit.

Die Prämisse klingt wie ein literarischer Scherz, der schnell bitter wird: Alice Law, Doktorandin der Analytischen Magie in Cambridge, verliert ihren Doktorvater Jacob Grimes bei einem fehlgeschlagenen Ritual. Damit steht nicht nur ihr Forschungsprojekt, sondern auch ihre Karriere vor dem Abgrund. Kurzerhand beschließt sie, ihm in die Unterwelt zu folgen, um seine Seele zurückzuholen, nicht aus Liebe oder Reue, sondern um ihr Empfehlungsschreiben zu sichern. Begleitet wird sie von Peter Murdoch, ihrem Rivalen, der sie gleichermaßen fasziniert wie irritiert. Gemeinsam durchqueren sie die acht Höfe der Hölle, deren Strukturen an eine groteske Eliteuniversität erinnern: Dissertationen als Qual, Seminare als Sünden, Vorlesungen als Verdammnis.

Kuang entfaltet daraus eine bissige Satire auf den akademischen Betrieb. Ihre Hölle ist ein Spiegel von Cambridge, ein Ort der endlosen Konkurrenz, der intellektuellen Eitelkeit und des Missbrauchs von Macht. Der Horror liegt nicht in Monstern oder Dämonen, sondern in Hierarchien, die Menschen in Ehrgeiz und Selbsttäuschung zermalmen. Dass Alice und Peter selbst kaum lernen, ihre Obsession zu hinterfragen, verleiht dem Roman eine tragikomische Note. Kuang kommentiert ihre eigene akademische Welt mit Witz, Bosheit und verblüffender Selbstironie: In Katabasis ist der Weg durch die Hölle zugleich eine Dissertation über die Hölle.

Stilistisch bleibt Kuang brillant ... und anstrengend. Zwischen mythologischen Anspielungen, Zitaten von Homer bis Borges und langen Exkursen über Philosophie und Logik verliert die Handlung mitunter an Schwung. Die Autorin jongliert mit Ideen und Fußnoten, als wolle sie beweisen, dass selbst die Hölle noch ein Forschungsthema sei. Das ist faszinierend, aber auch ermüdend. Wer sich in den Fluten aus Theorien und Verweisen treiben lässt, entdeckt intellektuelle Tiefe; wer lieber eine stringente Handlung sucht, dürfte mehrfach aussteigen wollen.

Ihre Figuren sind absichtlich unsympathisch: Karrierist:innen, gefangen in ihrem eigenen Kopf. Alice wirkt zunächst wie eine Karikatur der „pick-me-girl“-Gelehrten: brillant, egozentrisch, überzeugt von der eigenen Unersetzlichkeit. Erst spät wächst sie über diese Pose hinaus. Peter bleibt derweil blasser, eine Reibungsfläche für Dialoge und moralische Debatten. Doch gerade in diesen zynischen, von kluger Komik getragenen Gesprächen blitzt Kuangs Könnerschaft auf. Wenn ihre Helden durch die Höllenkreise ziehen, klingt das wie ein literarisches Seminar über Schuld, Illusion und Erkenntnis.

Katabasis ist ein schweres, hochambitioniertes Werk, weder klassische Fantasy noch reine Campus-Satire, sondern eine dichte, intellektuelle Grenzerfahrung. Kuang fordert ihr Publikum mit einem akademischen Unterwelt-Trip heraus, der weniger auf Spannung als auf Symbolik setzt. Wer Babel mochte, wird hier erneut die Verbindung aus mythologischem Denken und systemischer Kritik finden; wer schnelle Eskapismus-Lektüre sucht, dürfte sich eher im Fegefeuer aus Zitaten verlieren.

Fazit

Andreas Zommer
Andreas Zommer
YouGame Redaktion
Mit Katabasis gelingt Rebecca F. Kuang ein eigenwilliger, respektlos kluger Höllentrip über Ehrgeiz, Macht und die Selbstzerstörung des Geistes. Der Roman ist voller Ideen, voller Bildung, voller Stolz und manchmal genau daran erstickend. Doch zwischen Zynismus, Witz und Schmerz entsteht ein Werk, das lange nachhallt: eine Reise in die Unterwelt der Akademie, aus der man klüger, erschöpfter und ein wenig verwirrt zurückkehrt.

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